Erschöpfung statt Gelassenheit

Immer mehr Menschen strengen sich an, gelassen, achtsam und glücklich zu werden. Sehr viele sind stattdessen erschöpft, gestresst und einsam. Woran liegt das?

Wie und wodurch sind wir hier in den westlichen Industriegesellschaften zu diesen gestressten, statusempfindlichen, ängstlichen, ichbezogenen, Konsument*innen geworden, die ihr eigenes Selbst permanent mit Yoga, Mediation und positiver Psychologie verbessern wollen und müssen? Warum wollen wir sonst so wenig in der Welt verbessern? 

Ein Gesprächs-Podcast: Jeden Monat unterhalte ich mich mit klugen Gästen über die Paradoxien der Achtsamkeit und was sie uns über unsere Gegenwart verraten.

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"Erschöpfung statt Gelassenheit - warum Achtsamkeit die falsche Antwortauf ziemlich jede Frage ist" ist für alle frei. Wenn Ihr könnt/Wenn Sie können: Unterstützt/Unterstützen Sie den Podcast bitte.

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Broligarchie - Die Machtspiele der Tech-Elite

Aya Jaff, Autorin und Publizistin

Mit 19 stand Aya Jaff im Silicon Valley und träumte davon, eine reiche Tech-Unternehmerin zu werden. Heute, mit 30, kämpft sie gegen die „Broligarchie“ und für die Demokratie. Diese, sagt sie, hängt am seidenen Faden. Wie konnte die Tech-Elite, geprägt vom Silicon Valley und seiner „California Ideology“ der 1960er und 70er Jahre, aus libertären Idealen eine neue Form ökonomisch-politischer Herrschaft schaffen? Warum dominieren Milliardäre, deren Macht nicht gewählt, sondern erkauft ist, den öffentlichen Diskurs über Plattformen? Und wieso dulden wir, dass Techbros in einer autoritären Wende rechte und neoliberale Narrative verschmelzen? Wenn Tech-Eliten von „Freiheit“ sprechen, meinen sie Freiheit von Steuern und demokratischer Kontrolle, sagt Aya Jaff. Sie fordert, die digitale Öffentlichkeit zurückzuerobern. Dazu reicht es nicht, sich achtsam von Instagram zu verabschieden. Wir müssen für soziale Resilienz kämpfen und digitale Infrastrukturen wie öffentliche Güter behandeln – wie Straßen oder Stromnetze. Ein Gespräch über Milliardäre im Superman-Kostüm, eine sektenähnliche Privatuniversität, die Macht von Investorinnen, die Kraft der inneren Stimme und die Unmöglichkeit, die Hoffnung aufzugeben.

36 - Die Exponentialgesellschaft

Prof. Dr. Emanuel Deutschmann, Juniorprofessor für soziologische Theorie an der Europa-Universität Flensburg,

Die Geldmenge, der Meeresspiegel, die ErfolgederKünstlichen Intelligenz – all das wächst exponentiell. Emanuel Deutschmann, Juniorprofessor für soziologische Theorie an der Europa-Universität Flensburg, zeigt in seinem Buch „Die Exponentialgesellschaft“, wie solche Entwicklungenverlaufen: Anfangs wirken sie harmlos, dann beschleunigen sie drastisch und führen in unkontrollierbare Krisen. Deutschmann hat umfangreiche Daten analysiert und belegt, dass viele gesellschaftliche Bereiche bereits diese steile Wachstumskurve erreicht haben – mit Folgen wie verschärften Konflikten undKrisen. Er beschreibt zwei Lager: Die einen, die Stabilitätsuchen, wollen das Wachstum bremsen und auf ein nachhaltiges Maß zurückführen. Die anderen, die Expansionisten, drängen auf mehr Wachstum, Tempo und Profit. Am Ende, so Deutschmann, entscheidet die Wahl zwischen diesen Ansätzen über die Zukunft der Menschheit. Er spricht sich klar für Stabilität und gegen ungebremstes Wachstum aus. „Die Exponentialgesellschaft“ steht auf der Longlist fürdasWissenschaftsbuch des Jahres 2026. Ein Gespräch über Reiskörner auf Schachbrettern,schwindendeVorstellungskraft, ausgestorbene Tierarten und explodierende Virenpopulationen – über die Kraft zu handeln angesichts drohender Katastrophen und die Frage, ob Achtsamkeit als Mittel zur Selbststabilisierung taugt.

35 - Die Depressionsfalle

Thorsten Padberg, Psychotherapeut und Autor

Ein chemisches Ungleichgewicht im Gehirn – so erklären vieleMenschen die Ursache einer Depression. In Deutschland leiden fast 10 Millionen darunter. Doch stimmt das überhaupt? Der Therapeut und Autor Thorsten Padberg formuliert es anders: „Knapp 10 Millionen Menschen erfüllen die Diagnosekriterien einer Depression. “ Wie präzise und plausibel diese Kriterien sind, bleibt ebenso umstritten wie die Behandlung mit Medikamenten. Die Wirkung von Antidepressiva steht in der Kritik. Padberg bemängelt, dass unsere Gesellschaft zu schnell Diagnosen stellt und Medikamente verschreibt. Das birgt Risiken: Einerseits geraten die wahren Ursachen – Verluste, Einsamkeit, soziale Ungleichheit und prekäre Lebensumstände – aus dem Blick. Andererseits reduzieren Menschen ihr Leben auf eine Diagnose, hinter der sie verschwinden. Padberg warnt vor der „Depressionsfalle“: Wer glaubt, allein die Biologie sei schuld, fühlt sich machtlos und verpasst die Chance auf echte Veränderung. Depression ist kein reines Hirnproblem. Sie ist oft ein Signal an uns alle: Wir brauchen mehr Unterstützung, stärkere soziale Netze, Gemeinschaft und echte Teilhabe, um Hoffnung und Lebensfreude zurückzugewinnen. Ein Gespräch über Therapie, psychiatrische Diagnosen,Depressionen namens „Karl-Heinz“, den Pharmamarkt, die Königin der Usambaraveilchen und die Frage, warum manche Mythen über Depression so hartnäckig bestehen bleiben.

34 – Resonanz statt Resilienz – eine Philosophie der Verletzbarkeit

Dr. Barbara Schmitz, Philosophin und Autorin

Die Gesellschaft wird „resilienzifiziert“ – alles und jede soll resilient sein, die Schweizer Banken ebenso wie die Mundschleimhaut und natürlich die Kinder. Resilienz ist das Mittel der Wahl gegen Störungen, Widrigkeiten, Versagen, Ohnmacht, Ausgeliefertsein. Resilienz wird als eine Art Zauberkraft für den Umgang mit Verletzlichkeit verstanden – aber braucht es diese Zauberkraft überhaupt? Die Philosophin Barbara Schmitz stellt den Begriff der Verletzbarkeit in den Mittelpunkt ihrer Philsophie. Verletzbarkeit ist für sie keine Schwäche, sondern eine grundlegende Eigenschaft alles Lebendigen. Auch wir Menschen sind grundlegend verletzbar und damit nicht so autonom wie die neoliberale Wettbewerbsgesellschaft uns gerne hätte. Statt durch Resilienz unverwundbar werden zu wollen, plädiert Schmitz für Resonanz und damit für Offenheit gegenüber der Welt. Ein Gespräch über verletzbare Brombeerhecken und die Würde von Hühnern, über Gelassenheit, das Comeback der antiken Stoiker, die Lebensfreude von Menschen mit Behinderungen und die Frage, wie man Schlimmes im Leben bewältigt.

33 – Wie Big Tech die Demokratie zerstört

Prof. Dr. Joseph Vogl, em. Professor für Literatur- und Kultur­wissenschaft / Medien der Humboldt-Universität zu Berlin

In den USA zerstört eine neue Form von Kapitalismus rasant die Demokratie. Die meisten Menschen sind davon überrascht. Der Berliner Kulturwissenschaftler Joseph Vogl ist es nicht. Er beschreibt in seinen Büchern schon lange eine „internationale Materialermüdung im politischen Gefüge". Die neueste Version des Kapitalismus besteht nach seiner Analyse in einer Fusion aus einer internationalen Finanzoligarchie und Plattformen, Unternehmen und soziale Medien. Diese Fusion erzeugt und bewirtschaftet Ressentiment als eine zerstörerische Form der Ich-Ermächtigung. Auch der Hype von Achtsamkeit könnte demnach als eine Art„Geschmacksverstärker für Ich-Gefühle" gelten - ein Versuch, subjektive Ermächtigungen in Zeiten der Ohnmacht zu erleben. Ein Gespräch über den Kampf um Demokratie in den USA, über wachsende Ungleichheit durch den Boom der Finanzmärkte, die Allianz von Digital- und Geldwirtschaft, die geschäftsmäßige Förderung von Feindseligkeitenund die Rolle der Achtsamkeit in diesem Kontext.

32 – Verniedlichung statt Lösung: Warum Achtsamkeit nicht gegen Einsamkeit hilft

Dr. Janisch Schobin, Soziologe und Autor

Achtsamkeit, so heißt es, soll gegen Einsamkeit helfen –etwa durch Selbstumarmungen oder ein Dankbarkeitstagebuch. Und wenn das nicht wirkt, solle man lernen, Einsamkeit zu lieben: als Pilgerreise zur Selbsterkenntnis, die die wahre Essenz des Selbst entfaltet. Doch solche psychologisch-spirituellen Ratschläge verniedlichen den Schrecken der Einsamkeit. Einsamkeit, erklärt der Soziologe und Einsamkeitsforscher Janosch Schobin, ist kein bloßes Unwohlsein, sondern ein tiefer sozialer Schmerz. Er sitzt fest im Menschen, verzerrt die Wahrnehmung von Beziehungen, nagt am Selbstbild und trübt das Lebensgefühl. Einsamkeit ist weit mehr als ein individuelles Empfinden: Sie hängt eng mit gesellschaftlichen Strukturen, historischen Entwicklungen, gesellschaftlichen Freiheitsgraden und sozialer Ungleichheit zusammen. Einsamkeit zeigt sich als gesellschaftlich bedingtes Phänomen, das sich nicht einfach „wegmeditieren" lässt. Ein Gespräch über Corona und Staatsvertrauen, Liebe undPartnerschaft, Frauenrechte und Beziehungsverlierer, über die einsamkeitserzeugenden Schrecken von Krieg, Gewalt und Trauma, über Ersatzpartner und Künstliche Intelligenz – und die Frage, ob Einsamkeit Antworten auf letzte Fragen bereithält.

31 – Kapitalismus auf Steroiden: Wie das Rechtssystem soziale Ungleichheit fördert

Prof. Dr. Katharina Pistor, Professorin für Rechtsvergleichung an der Columbia Law School

Warum suchen immer mehr Menschen nach Achtsamkeit? Weil Stress und Erschöpfung wachsen. Ursache ist die seit den 1970er Jahren steigende soziale Ungleichheit. Sie hat ein Ausmaß erreicht, das die Soziologit als „Rückkehr des Feudalismus“ bezeichnet. Warum wächst die Ungleichheit so rasant? Die Juraprofessorin Katharina Pistor von der Columbia University gibt eine klare Antwort: Unser Rechtssystem treibt sie an. Pistor zeigt, dass Kapital nicht einfach ein Wirtschaftsgut ist, sondern erst durch rechtliche Strukturen entsteht. Private Kanzleien verwandeln Vermögenswerte wie Land, Firmen oder Ideen mit juristischen Mitteln in Kapital. Kapital entsteht also im Privaten, braucht aber den Staat, der im Streitfall die Ansprüche der Eigentümer schützt. So entsteht das Paradox: Kapital wird privat geschaffen, aber öffentlich garantiert. Märkte sind also weder frei noch natürlich. Reich wird, wer Kapital juristisch schaffen und absichern kann – und diese Fähigkeit ist ungleich verteilt. Pistor spricht von „Märkten auf rechtlichen Steroiden“ Ein Gespräch über die Lage der Columbia University undanderer US-Elite-Unis im Kulturkampf der Trump-Ära, über das Recht als Motor der Ungleichheit, die Frage nach demokratischer Kontrolle über das Recht, die Bedeutung eines AfD-Verbots und das Risiko eines gesellschaftlichen Zusammenbruchs.

30 – Angst, Egozentrik und Achtsamkeit – Die Eigensinnigkeit von Gefühlen

Prof. Dr. Dr. Fuchs, Karl-Jaspers-Professor der Uni Heidelberg

In Deutschland wächst die Angst: Einige fürchten Faschismus, andere Krieg, wieder andere die Klimakatastrophe, manche alles zusammen. Was tun? Meditieren? Eine Rosine essen? Einen safe space visualisieren? Achtsamkeit statt Panik? Gefühle lassen sich nicht einfach abschalten, sagt der Philosoph und Psychiater Thomas Fuchs, seit 2010 Karl-Jaspers-Professor für die philosophischen Grundlagen von Psychiatrie und Psychotherapie an der Uni Heidelberg. Jedes Gefühl hat seine Berechtigung. Gefühle zeigen an, was uns als Menschen bewegt. Ohne Gefühle wäre die Welt ein Ort ohne Sinn, Wert oder Bedeutsamkeit. Deshalb bleibt nur eines: alle Gefühle anerkennen und sich mit ihnen auseinandersetzen. Wir Menschen sind leibliche Beziehungswesen. Ängste wachsen, so Fuchs, auch deshalb, weil wir durch kapitalistische Beschleunigung und Verdichtung kaum noch Zeit für verweilende Gemeinsamkeit oder absichtslose Eigenzeit finden. Ein Gespräch über den Umgang mit Angst in bedrohlichenZeiten, die Bedeutung von Gefühlen, den Unterschied zwischen gespürtem Leib und sichtbarem Körper, erfüllter und leerer Zeit und die Frage, ob Achtsamkeitspraktiken Egozentrik und Narzissmus fördern können.

29 – Die Kraft des Zuhörens - Trauma-Heilung durch Beziehung

Dr. Maggie Schauer, Psychotraumatologin und Autorin

Kriege und Krisen nehmen weltweit zu - und mit ihnen die Traumata, die Menschen anderen zufügen und selbst erleiden. Gewalt erzeugt Trauma und Trauma erzeugt Gewalt. Und auch in vermeintlich friedlichen Gesellschaften gibt es häusliche Gewalt, sexuelle und emotionale Übergriffe, Ablehnung, Ausgrenzung und Vernachlässigung, schwere Krankheiten und schwierige Lebensereignisse. Hinzu kommt: Traumata werden von Generation zu Generation weitergegeben, wir erben sie. Traumatisierungen sind also keine Seltenheit. Denn nicht nur körperliche Gewalt oder extreme Entbehrungen wirken traumatisierend,sondern auch tiefe Kränkungen, Mobbing oder Liebesentzug. Besonders schwerwiegend sind Traumatisierungen, die Kindern zugefügt werden. Ob Betroffene auch psychisch erkranken, hängt weniger von der Schwere des Erlebten als von der Häufung ab, sagt die Psychotraumatologin Maggie Schauer. Dr. Maggie Schauer ist eine der führenden Expertinnen für Traumabehandlung in Deutschland und hat die „Narrative Expositionstherapie" (NET) mitentwickelt, eine Form des autobiografischen Erzählens, die der menschlichen Natur entspricht und nachweislich hilft, Traumata aufzulösen. Um zu heilen, brauchen wir Zeugen und Zuhörer, ein Gegenüber. Selbstheilungsmeditationen und Affirmationen können Wunden, die wir in Beziehungen erlitten haben, nicht heilen. Ein Gespräch über Gewalt, Krisen und deren Folgen, über traumatisierte Asylsuchende, schlagende Väter, irritierte Mütter, einsame Kinder und über die heilende Kraft, die in Beziehungen liegt. Der Mensch, sagt Maggie Schauer, ist ein zutiefst soziales Wesen und ungemein sensibel auf andere Menschen abgestimmt. Die heilende Kraft liegt in der Beziehung.

28 – Toxisch reich - Warum extremer Reichtum unsere Demokratie gefährdet

Sebastian Klein, Entrepreneur und Autor

In Deutschland zahlen reiche Menschen weniger Steuern als die allgemeine Bevölkerung. Das haben viele Studien bestätigt. Sebastian Klein findet das nicht nur moralisch ungerecht und politisch gefährlich – er ist auch der Ansicht, dass diese Ungerechtigkeit dem Wirtschaftsstandort Deutschland schadet. Denn eine Politik, die die Pfründe der Reichen und die Interessen der großen Konzerne schützt, benachteiligt Newcomer und behindert damit echten Wettbewerb. Sebastian Klein hat 2012 mit knapp 30 Jahren die Buchzusammenfassungs-Software „Blinkist" mitgegründet und als Blinkist 2023 verkauft wurde fünf Millionen Euro erhalten. Doch statt eine Villa zu kaufen, hat er den größten Teil seines Geldes weggegeben. Sebastian Klein baut einen Verlag auf, in dem das alternative Wirtschaftsmagazin Neue Narrative erscheint und managt den von ihm gegründeten systemischen Investmentfonds Karma Capital, der unter anderem gemeinwohlorientierte Medien fördert. Und er findet: Reiche sollten mehr Steuern zahlen. Er engagiert sich in der Initiative „Taxmenow" und hat Anfang Februar das Buch „Toxisch reich" veröffentlicht. Ein Gespräch über die buddhistische Einsichtsmediation Vipassana, über Venture Capital, Finanzmarktkapitalismus, Start-Ups-Mentalitäten, eine ungerechte Steuerpolitik und deren fatalen Folgen, die Verteidigung unserer Demokratie und darüber, was Geld im Leben bedeutet.

27 – Achtsamkeit, Resilienz und die Politiken der Apokalypse

Prof. Dr. Ulrich Bröckling, Professor für Kultursoziologie an der Uni Freiburg

Achtsam: So heißen beispielsweise ein Weißwein, eine Kosmetikfirma und ein mehrwöchiger Yoga-Kurs. Achtsam: So sollen Menschen neuerdings die meisten Angelegenheiten ihrer Lebensführung meistern und etwa achtsam essen, achtsam reisen und – tatsächlich -achtsam die Steuererklärung erstellen. Der Soziologe Ulrich Bröckling bezeichnet Achtsamkeit mittlerweile als ein „universelles Life-Style-Label", das ebenso beliebig geworden ist wie „bio" oder „öko". Dennoch interessiert ihn Achtsamkeit: Das u.a. von ihm herausgegebene „Glossar der Gegenwart 2.0" beginnt mit A wie „Achtsamkeit". Worauf verweist Achtsamkeit als ein Schlüsselbegriff, mit dem sich die Gegenwart verstehen und deuten lässt? Bröckling liefert eine Antwort: In seiner Deutung ist Achtsamkeit Ausdruck eines tiefen Bedürfnisses, das die Menschen heute prägt – ein Bedürfnis nach Kontrolle in einer Welt, die zunehmend als überfordernd und bedrohlich empfunden wird. Die permanente Unsicherheit und das Gefühl, „im Ernstfall" nicht die richtigen Entscheidungen treffen zu können, haben Achtsamkeit zu einem Instrument der Selbstheilung und Optimierung gemacht. Sie verspricht nicht nur innere Ruhe, sondern auch die Fähigkeit, im Chaos präsent und handlungsfähig zu bleiben. Ein Gespräch über Achtsamkeit, Resilienz, Unsicherheit und Finanzmarktkapitalismus und über das, was dem Verlust an Zukunft und den Politiken der Apokalypse entgegenzusetzen wäre: Eine Ethik der Sorge.

26 – Seelenheil und Sozialkritik - Paradoxien der Achtsamkeit

Dr. Elgen Sauerborn, Gastprofessorin für Soziologie, HU Berlin

Manager*innen lenken die Aufmerksamkeit auf die Spitzen ihrer Zehen. Klima-Aktivist*innen versammeln sich in Empathie-Zirkeln. Mütter fühlen im Bodyscan ihre Körperteile. Sie alle üben einen achtsamen Umgang mit sich und anderen. Menschen aus ganz unterschiedlichen Milieus, Klassen und Altersgruppen schwören auf die Wirkung achtsamer Körper- und Geistestechniken und berichten von veränderter Lebensführung, neu gewonnenen Perspektiven und gelösten Alltagsproblemen. Woher rührt diese breite Anschlussfähigkeit und Popularität? Die Soziologin Elgen Sauerborn sagt: Es sind gerade die Paradoxien und Widersprüche von Achtsamkeitspraktiken, die für deren schier unbegrenzte Anschlussmöglichkeiten sorgen. Durch die widersprüchlichen Narrative und Praktiken macht sich das Programm unangreifbar und bietet stets genau die Antwort, nach der gesucht wird. Achtsamkeit wird so zu einem Versprechen, das nie in Gänze realisierbar ist. Der Popularität des Programms tut das keinen Abbruch – zu attraktiv ist die Ambivalenz von Selbstoptimierung und Selbstfürsorge und die Sehnsucht, eine funktionierende Lösung für den zunehmenden „Welt-Stress" zu finden. Ein Gespräch über Feldforschung und Achtsamkeitskurse, Emotionssoziologie und deren Begrifflichkeiten, über Selbstoptimierung, Well Being und gefühlvollen Klimaprotest und über die vier Paradoxien der Achtsamkeitspraktiken.

25 – Zwei Jahre Achtsamkeit – Rück- und Ausblick auf eine kritische Reise

Kathrin Fischer, Podcasterin

Zwei Jahre, 24 Gespräche, viele Bücher und eine steile Lernkurve: In dieser besonderen Episode nehme ich euch mit auf eine Reflexion über die Entstehung und Entwicklung dieses Podcasts. Was habe ich über Achtsamkeit gelernt, seit ich diesen Weg 2022 mit einer entschiedenen Kritik antrat? Wie hat sich meine Sichtweise im Laufe der Zeit verändert? Und warum? In dieser Folge geht es um den Wandel meiner Haltung: von einer klaren Ablehnung der Achtsamkeit als neoliberales „Coping-Tool" hin zu einer differenzierteren Sicht, die die indivduellen positiven Aspekte nicht mehr komplett ausblendet. Dabei nehme ich euch mit durch die zentralen Themen, die in den Gesprächen mit Soziolog*innen, Philosoph*innen, Coaches und Praktikerinnen zur Sprache kamen: die Kommerzialisierung der Achtsamkeit, die Kombination von Kapitalismus und Buddhismus, die Rolle von Achtsamkeit in der Bewältigung von Stress und Erschöpfung und die Frage, ob individuelle Resilienz in einer zunehmend ungerechten und autoritär bedrohten Gesellschaft wirklich helfen kann. In dieser Episode gibt es keine Gäste – nur mich, einige O-Töne aus den Gesprächen und den Versuch, Antworten auf die Frage zu finden, ob Achtsamkeit tatsächlich ein Weg zu mehr persönlichem Wohlbefinden ist oder ob und falls ja, wie, wir als Gesellschaft vor allem an den strukturellen Ursachen von Stress und Ungleichheit arbeiten müssen.

24 – Anti-Girlboss mit der Erlaubnis zum Chillen

Nadia Shehadeh, Autorin

Mit dem richtigen „Mindset" geht angeblich alles: Kinder, Karriere, Körper. Partnerschaft und Haushalt natürlich auch. Immer auf Zack und in den kurzen Pausen lädt Meditation die Batterien wieder auf. Woher kommt der ganze „Hustle"? Warum glorifiziert unsere Gesellschaft permanente Betriebsamkeit? Und warum gilt das insbesondere für Frauen? Studien zeigen, dass dieser Perfektionsdruck gerade für die Generation der nach 1989 Geborenen immer größer wird. Das ständige Gefühl, von der Gesellschaft und den eigenen Altersgenossen bewertet zu werden, nimmt zu. Immer mehr junge Menschen erleben eine wachsende Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit, die zu Entfremdungsgefühlen, Selbstzweifeln und Scham führen kann. Die Autorin, Kolumnistin und Soziologin Nadia Shehadeh will sich dem nicht beugen und plädiert für das Recht auf Gewöhnlichkeit, Faulheit und Ruhe. Statt Überholspur die Komfortzone, statt Burn out Chill Out. „Rest is Resistance". Dieses Motto der amerikanischen Performance-Künstlerin Tricia Hersey bringt Nadia Shehadeh nach Deutschland. Ein Gespräch über Girlbosse und Anti-Girlbosse, neoliberalen Perfektionsdruck, flauschige Bademäntel, Netflix-Serien, weibliche Utopien und die Befreiung des inneren Teenagers.

23 – Aus großer Macht folgt große Verantwortung - Mit Jura die Welt verbessern

Prof. Dr. Katharina Mangold, Juristin an der Europa-Universität Flensburg

„All you need is inside" oder „Nichts ändert sich, bis du dich änderst, und dann ändert sich alles" - diese Sätze sind beliebte Postkartenmotive in Yoga-, Achtsamkeits- und Meditationskreisen. Sie klingen beruhigend und inspirierend, aber stimmen sie? Brauchen wir nicht saubere Luft, Wasser, Geld für die Yogamatte? Reicht es wirklich aus, sich selbst zu verändern, oder müssen wir nicht immer wieder wieder auch die politischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verändern? Unbedingt, sagt Katharina Mangold, Verfassungs- und Europarechtlerin. Die Flensburger feministische Jura-Professorin kämpft für eine inklusive Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, in der das Recht als Instrument für mehr Gerechtigkeit dient. Ob in der Berliner Kommission zur Vergesellschaftung großer Wohnungsbestände, bei Bundestagsanhörungen zum Selbstbestimmungsgesetz oder als Verfassungsbeschwerdeführerin gegen das Kopftuchverbot für Schöffinnen - Katharina Mangold setzt sich mit Nachdruck für rechtliche und gesellschaftliche Anti-Disriminierung ein. Ein Gespräch über AfD-Wahlerfolge, Säkularität und Religionsfreiheit, Artikel 15 GG, geschlechtliche Selbstbestimmung und die queere Kraft von Superhelden wie Spiderman oder Wonderwoman, die ihre Kräfte im Verborgenen leben.

22 – Die Erschöpfung der Familien - warum Mamacoaching allein nicht hilft

Prof. Dr. Sylvia Kägi, Professorin für Pädagogik der Kindheit an der FH KIel

Cappuccino-Momente, Zitronenwasser oder Empowermentkurs für Working Moms: Mamacoachings mit Angeboten wie Achtsamkeits- und Resilienztraining für erschöpfte Mütter liegen im Trend. Doch trotz kurzfristiger Hilfe bleibt die zentrale Frage unbeantwortet: Warum sind so viele Familien, besonders Mütter, in Deutschland überfordert? Themen wie Existenzsorgen oder Kita-Ausfälle sind eben nicht sexy und schwer zu ändern. Was würde den Familien in Deutschland wirklich helfen? Zuallererst müssten wir mal eine kinderbejahende Gesellschaft werden, ist Sylvia Kägi überzeugt, Professorin für Pädagogik der Kindheit und Leiterin des Bachelor-Studiengangs „Bildung und Erziehung im Kindesalter" an der Fachhochschule Kiel. Ein Gespräch über steigende Lebenshaltungskosten, Bildungskonkurrenz, unzuverlässige Betreuung, veraltete Rollenbilder und Skandinavien, wo Väter Elternzeit nehmen und das Kindeswohl im Fokus steht.

21 – Allianzen statt Achtsamkeit: Gesellschaftliche Veränderung mobilisieren

Dr. Ruth Seliger, Coach und Autorin

Veränderung, auch gesellschaftliche Veränderung, beginnt immer bei sich selbst, heißt es. Und mit "sich selbst" ist die Einzelperson, das Individuum gemeint. So versuchen zunehmend viele Menschen, die Veränderung, die sie sich für die Gesellschaft wünschen, achtsam als Individuum zu leben. Und verurteilen andere, die das nicht tun. Gesellschaftliche Veränderung, sagt dagegen die Organisationsberaterin und Buchautorin Dr. Ruth Seliger, beginnt nicht beim Ich, sondern beim Wir. Gesellschaftlicher Veränderung bedarf der kollektiven Auseinandersetzung und der ethischen Reflexion, nicht der individuellen Verhaltensanpassung und des moralischen Urteils. Dr. Ruth Seliger ist renommierte systemische Organisationsberaterin, Inhaberin des Wiener Beratungsunternehmens „Seliger Consulting" und Autorin mehrerer erfolgreicher Fachbücher zu Führung und Coaching. Ein Gespräch über die zunehmende Dringlichkeit von Veränderung, über Demokratie-, Wirtschafts- und Klimakrisen, über politische Arroganz und den Wert der Rechtspopulisten als „Trüffelschweine", über Achtsamkeit als „Opium fürs Volk" und die Notwendigkeit, politische Allianzen für tiefgreifende Veränderungen zu schmieden.

20 – Das Versprechen der Meditation: Wenigstens sich selbst gestalten

Dr. Jacob Schmidt, Soziologe und Autor

Achtsamkeit, sagt der Soziologe Jacob Schmidt, verspricht mehr als sie halten kann: Ein bisschen meditieren und das Leben gelingt. Dieses Versprechen ist verführerisch. Vor allem in der zunehmend beschleunigten, unübersichtlichen und anstrengenden Welt der Moderne verheißt das stille Lächeln des Buddhas Ruhe und Frieden. In einer Welt, in der sich viele Menschen politisch handlungsunfähig fühlen und den Eindruck haben, kein Gehör zu finden oder nicht repräsentiert zu werden, verspricht Achtsamkeit, wenn schon nicht das Außen, so doch wenigstens das Innen gestalten zu können. Aber dieses Versprechen ist nicht zu halten. Denn wir teilen nun mal mit anderen Menschen eine politisch gestaltete, historisch spezifische Welt. Diese Verbundenheit im Rückzug auf inneres Terrain auszublenden, bezeichnet Jacob Schmidt als „radikal-individualistisch“ und „soziologisch naiv“.

19 – Politik als Medizin - Erschöpfung durch Unruhe, Statusstress und Armut

Prof. Dr. Nico Dragano, Professor für Medizinische Soziologie an der Universität Düsseldorf

Kann man messen, wie erschöpft die Deutschen sind? Nein, sagt der Epidemiologe Nico Dragano, dazu ist Erschöpfung als Zustand zu diffus. Und eigentlich auch zu natürlich – nach der Anstrengung kommt die Erschöpfung kommt die Erholung. Erholung? „Die Bedingungen für Erholung sind schlecht in dieser Gesellschaft“, sagt Nico Dragano. Zum einen sind fast alle mit sozialen Medien okkupiert, zum anderen haben wir längst eine Leistungslogik ins Private übertragen, die zweckfreie Freude schwer macht, und zum dritten ist eine zunehmende Anzahl von Menschen von Armut bedroht oder lebt bereits in Armut. Materielle Not und soziale Ausgrenzung erzeugen einen enormen Stress – so groß, dass arme Männer im Durchschnitt acht Jahre und arme Frauen vier Jahre früher sterben. Da hilft auch keine Achtsamkeitspraxis wie etwa Mindful Based Stress Prevention. Denn die richtet sich ausschließlich ans Individuum und ignoriert die strukturellen Stressursachen. Nico Dragano ist Professor für Medizinische Soziologie an der Universität Düsseldorf, Direktor des Instituts für medizinische Soziologie am Universitätsklinikum Düsseldorf und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Soziologie. Ein Gespräch über die Frage, wie Krankheitsursachen gemessen werden, wie individuell Erholung ist, warum der Ansatz der FDP, auf digitale Gesundheitsanwendungen zu setzen, eine schlechte Idee ist und der Versuch, Resilienz zu stärken, zynisch sein kann, und darüber, dass hohe gesellschaftliche Ungleichheit ungesund und Armut tödlich ist.

18 – Achtsamkeit, Narzissmus und die Kunst des widersprüchlichen Denkens

Klaus Eidenschink, Coach und Autor

Ist Achtsamkeit gut oder schlecht? Befähigt sie Menschen, sich selbst und andere umfassend wahrzunehmen? Oder sorgt sie dafür, dass Menschen sich und ihre Gefühle anpassen, egal unter welchen Bedingungen? Unterstützt Achtsamkeit Mitgefühl oder schürt sie Egoismus? Befreit die Achtsamkeitspraxis von Zwängen oder bringt sie weitere Zwänge mit sich - etwa den Zwang zum Glücklichsein, zum positiven Denken, zum Meditieren etc. „Auf der anderen Seite vom Pferd gefallen ist auch nicht geritten. Darum wehre ich mich gegen diese Art von Polarisierungen, wo man das Einatmen gegen das Ausatmen ausspielt“. Das sagt Klaus Eidenschink. Der Coach, Coachingausbilder, Gründer und Leiter des Münchner Coachingzentrums „Hephaistos“ denkt grundsätzlich in Funktionen, nicht in Inhalten. Nichts, sagt er, ist per se gut oder schlecht. Mit einem scharfen Messer kann man etwas Leckeres kochen oder jemanden töten. Achtsamkeitspraxis kann also gut oder schlecht sein, je nachdem, welche Funktion sie hat. Eine narzisstische Person kann Achtsamkeit nutzen, um ihre Grandiositätsphantasien zu füttern, oder sie kann die Praxis nutzen, um ihre eigenen dysfunktionalen Muster zu spüren und zu erkennen. Letzteres fällt narzisstisch geprägten Menschen allerdings schwer: Denn der Kern narzisstischer Not besteht in einem eklatanten Mangel an Selbstwahrnehmung. Deshalb ersetzen Menschen in narzisstischer Not die Selbstwahrnehmung durch ein Selbstkonzept, durch ein Ich-Ideal, und sind deshalb gar nicht meditations- oder achtsamkeitsfähig, weil sie die Fähigkeit, sich wirklich zu spüren, verloren haben. Ein Gespräch über die buddhistische Lehre, narzisstische Führungskräfte, innere Leere und äußere Größe, den Zwang zum Glücklichsein und vor allem über die Fähigkeit, die aristotelische Logik der Dualität zu überwinden. Denn in einer komplexen Welt braucht es dringend die Fähigkeit, Widersprüche aushalten und paradox denken zu können.

17 – Kapitalismus am Limit – das Ringen um die Zukunft der Menschheit

Prof. Dr. Markus Wissen, Professor für Gesellschaftswissenschaften mit dem Schwerpunkt sozial-ökologische Transformationsprozesse an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin

„Kapitalismus am Limit“ heißt das neue Buch von Markus Wissen und Ulrich Brand. Die Sozial- und Politikwissenschaftler haben 2017 den Besteller „Imperiale Lebensweise“ geschrieben. In ihrem aktuellen Buch zeichnen sie nach, wie diese imperiale Lebensweise an ihre Grenzen stößt. Für die daraus resultierenden Krisen gibt es im wesentlichen drei unterschiedliche politische Lösungs-Angebote: Autoritäre Stabilisierung, ökologische Modernisierung oder soziale Resilienz. Über diese Angebote wird derzeit intensiv gerungen – mit ungewissem Ausgang. Markus Wissen ist Professor für Sozialwissenschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR) mit dem Schwerpunkt sozial-ökologische Transformationsprozesse. Ein Gespräch über die imperiale Lebensweise und ihre Folgen, fossile Mentalitäten und gekränkte Männlichkeit, über autoritäre Stabilisierungen des Status quo, grünen Kapitalismus und soziale Resilienz.

16 – Selbstfürsorge statt Selbstoptimierung - Freundlich mal nichts tun

Prof. Dr. Tanja Michael, Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität des Saarlandes

Was man alles werden könnte, wie viele Grenzen man überwinden könnte, wie viele Erfolge man feiern könnte, wer und was alles in und um den eigenen Haushalt herum gestaltet, aufgeräumt, organisiert und optimiert werden könnte. Und wie ungeheuer glücklich und optimistisch man sein könnte, wenn man nur wüsste, wie. Unsinn, sagt Tanja Michael, Professorin für Psychologie und Psychotherapie. Der Zwang zum Glück schafft zuverlässig Unglück und der Optimierungsdruck Stress, der zur Erschöpfung führt. Menschen sind leibliche Wesen. Sie sind aufgrund ihrer spezifischen genetischen Ausstattung nicht beliebig formbar und haben körperliche und seelische Bedürfnisse, etwa nach Sicherheit, Schlaf, Bewegung, Sinn und Verbundenheit mit allem Lebendigen. Statt sich von den eigenen Ansprüchen an ein vermeintlich perfektes Leben in die Erschöpfungsdepression treiben zu lassen, plädiert Michael für einen entspannteren Umgang mit der eigenen Durchschnittlichkeit. Allein auf dem Sofa oder in der Natur, gemeinsam mit anderen im Chor oder in der Nachbarschaftshilfe. Ein Gespräch über menschliche Begrenztheit und seelische Vewundbarkeit, über Sinn und Unsinn von Achtsamkeit, die Selbstüberschätzung von Menschen und die Bedeutung von Güte und Freundlichkeit - gegenüber sich selbst, anderen Menschen und allem Lebenden.

15 – Nicht erschöpft, sondern okkupiert – Digitaler Plunder, Einsamkeit und die Geschwindigkeit der Regression

Prof. Dr. Harald Welzer, Sozialpsycholge und Autor

Erschöpft sind die Menschen nicht, sagt Deutschlands bekanntester Sozialpsychologe Harald Welzer. Er hält sie stattdessen für okkupiert. Okkupiert vom  „Plunder“ der sogenannten sozialen Medien, die sie einsam, nervös und süchtig machen. Sie sind auch gekränkt vom Verfall der deutschen Infrastruktur und verstört von der Distanz einer elitären Politik zu ihren Bürger*innen. Unsere Demokratie sieht Harald Welzer dadurch gefährdet. Die Geschwindigkeit der autoritären Regression beunruhigt ihn zutiefst. Für Pessimismus ist es allerdings zu spät. Und Hoffnung gibt es: Schließlich hat es in der Vergangenheit positive Veränderungsprozesse gegeben, die zu einer demokratischen, sozial abgesicherten Gesellschaft geführt haben – und wenn es diese Prozesse in der Vergangenheit gegeben hat, warum sollten wir nicht in der Lage sein, sie zivilisatorisch weiter auszubauen? Ein Gespräch über die fatalen Folgen der sozialen Medien, den Zusammenhang von Einsamkeit und Totalitarismus, den erschütternd raschen Aufstieg regressiver Bewegungen, die Zunahme von Dummheit in Krisenzeiten, den Irrtum der permanenten Optimierung und die Schwierigkeit, Endlichkeit zu denken. Und über die Frage, was es für die Zukunft deutscher Unternehmen unter den ökologischen und klimatischen Bedingungen der Gegenwart bedeutet, wenn ihre CEOs sich als Steve Jobs verkleiden.

14 – Wer rettet das Klima? Die Erschöpfung der Einzelnen

Prof. Dr. Christian Baatz, Juniorprofessor für Klimaethik, Nachhaltigkeit und Globale Gerechtigkeit

Aufs Auto verzichten, vegan leben, so wenig wie möglich konsumieren - können einzelne Menschen das Klima retten? Haben Sie sogar die moralische Verpflichtung, den eigenen Fußabdruck so klein als möglich zu halten? Oder schieben Politik und die fossile Industrie damit die Last auf diejenigen ab, die weniger zum Klimawandel beitragen und weniger Einfluss auf dessen Ursachen haben? Ist es fair, von Menschen zu erwarten, dass sie ihr Leben ändern, während Regierungen weiterhin auf Öl und Gas setzen? Werden Menschen so überfordert und trägt diese Überforderung zu Erschöpfung, Ohnmacht, Frustration, Hilflosigkeit bei? Der Klimawandel wirft auch moralische Fragen auf: Wer trägt die Verantwortung? Welche Auswirkungen hat unser Verhalten? Und wie können die Folgen des Klimawandels gerecht verteilt werden? Professor Dr. Christian Baatz von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel beschäftigt sich intensiv mit diesen klimaethischen Fragen. Im Mittelpunkt steht die große Herausforderung: Wie sollte man sich richtig verhalten? Ein Gespräch über Hafermilch, Tierethik und den kategorischen Imperativ, über Klimaproteste, ungerechte Emissionsverteilung, SUV-Verbote und moralische Verwerflichkeit.

13 – Wie Superreiche die Demokratie bedrohen – Steuergerechtigkeit in Deutschland

Christoph Trautvetter, Netzwerk Steuergerechtigkeit

Die Mittelschicht zahlt, die Milliardäre zahlen nicht. Ein neuer Bericht des Think Tanks „EU Tax Observatory“ zeigt, wie Superreiche und Konzerne Steuern vermeiden. Auch in Deutschland. Weil deutsche Milliardäre und Multimillionäre ihre Steuerlast in den vergangenen drei Jahrzehnten radikal gesenkt haben, fehlt dem deutschen Staat sehr viel Geld. Schätzungen gehen von bis zu 100 Milliarden Euro jährlich aus. Mit 100 Milliarden Euro mehr im Bundeshaushalt müssten keine Mittel für Freiwilligendienste, Beratungsstellen oder Asylbewerber*innen gekürzt werden. Mit 100 Milliarden Euro mehr im Bundeshaushalt wären eine auskömmliche Kindergrundsicherung, das Deutschlandticket oder die Sanierung der maroden deutschen Infrastruktur kein Thema mehr. Mit 100 Milliarden Euro mehr im Bundeshaushalt könnte die wachsende soziale Ungleichheit in Deutschland und damit eine prominente strukturelle Ursache für Stress in der Gesellschaft dort bekämpft werden, wo sie wurzeln. Denn Stress entsteht nicht ausschließlich im Kopf des Einzelnen, sondern ist sozial und politisch bedingt. Christoph Trautvetter vom Netzwerk Steuergerechtigkeit Deutschland erklärt, warum ein gerechtes Steuersystem die Grundlage für ein gut organisiertes, stabiles und sicheres Land ist. Und wer es wie zu spüren bekommt, wenn der Staat zu wenig einnimmt. Ein Gespräch über die Grenzen der Meditation, die Vermessung der Ungleichheit, die unfassbaren Steuerprivilegien der Multimillionäre und Milliardäre und die große Frage, ob und wie es den Demokratien weltweit gelingt, sich von den Superreichen nicht zerstören zu lassen.

12 – Scheiß auf Selflove - gib mir Klassenkampf

Jean-Philipe Kindler, Poetryslammer, Autor, Satiriker

Die moralische Tugend scheint zurück: Junge Menschen sind sprachsensibel und rassismuskritisch, empathisch und vegan, verzichten aufs Fliegen und betreiben viel Selfcare. Sie fragen sich, wie sie ihren Burnout wegatmen können und ob sie Dreadlocks tragen dürfen. Das, sagt der Slam-Poet und Satiriker Jean Philippe Kindler, ist nichts anderes als die neoliberale Ideologie der Vereinzelung im neuen Gewand der Empfindsamkeit. Denn die neue Tugendhaftigkeit feilt zwar die Vorstellung bis ins kleinste Detail aus, wie das gute Leben des Einzelnen auszusehen hat, lässt aber völlig außer Acht, was wir tun können, damit es allen gut geht. Sie denkt ausschließlich in individuellen Kategorien und vergisst das Kollektiv. Diese Lücke will Jean Philippe Kindler schließen: Mit einer neuen linken Utopie, die das gute Leben für alle in den Blick nimmt. Dafür setzt er das individuelle Wohl wieder stärker ins Verhältnis zum Gemeinwohl und erklärt Armut, Glück, Klimakrise und Demokratie nicht zu persönlichen, sondern zu politischen Kampfzonen.  Ein Gespräch über Kinderarmut und die vermeintlichen Privilegien prekär beschäftigter weißer Cis-Männer, über Antipolitik und „Wokeism“, Sahra Wagenknecht und Christian Lindner, Revolution oder Reform und die ganz große Frage, ob sich liberale, kapitalistisch verfasste Demokratien in Richtung Zukunftsfähigkeit verändern können und welche Konsequenzen es hat, wenn man diese Frage für sich selbst mit Nein beantwortet.

11 – Erschöpfung durch neoliberale Logik: Die zerstörerische Ungleichheit der Märkte

Prof. Dr. Lisa Herzog, Philosophin und Ökonomin, Uni Groningen

Herzlos, ungerecht, unterkomplex und umweltschädlich: Die neoliberale Marktlogik steht im Widerspruch zu einem echten Menschenbild, zu Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und einem gelingenden Leben. Sie überhöht quasireligiös die Kräfte des Marktes und die heroischen Leistungen des einzelnen Individuums. Konkurrenz und Wettbewerb weiten sich aus und fressen sich durch alle Lebensbereiche. Erschöpfung ist nur eine Folge. Wie konnte es zu dieser quasireligiösen Überhöhung des Marktes kommen? Wie verändert deren soziale Blindheit unser Verhältnis zu uns selbst und anderen? Auf welche Weise untergräbt die ungebremste Marktlogik die Demokratie? Wie beeinträchtigen Einkommensunterschiede die politische Gleichberechtigung aller? Und: Was wäre dem entgegenzusetzen?

10 – Bio statt Burnout - Wege aus der Erschöpfung in der Landwirtschaft

Johannes Tams, Biolandwirt

„Erschöpfung, Burnout, Suizid: In Deutschland sind Landwirt*innen viereinhalbmal so häufig von Burnout betroffen wie Angehörige der Allgemeinbevölkerung. Auch die Suizidrate scheint höher als beim Rest der Bevölkerung. Achtsamkeitsbasierte Präventions- und Resilienzkurse speziell für Landwirt*innen gibt es zwar, aber sie helfen nicht viel – denn der Druck in der Landwirtschaft ist systemisch bedingt. Die Landwirt*innen fühlen sich gefangen in einem System aus billigen Weltmarktpreisen, zunehmenden Klima-, Naturschutz- und Tierwohlanforderungen, hohen Investitionskosten, steigenden Landpreisen und der immer lauter werdenden Kritik an ihrer Produktionsweise. Johannes Tams, Biolandwirt aus Norddeutschland, bewirtschaftet seinen Betrieb seit 2008 biologisch und fühlt sich trotz harter Arbeit „leicht und glücklich“. Gemeinsam mit seiner Bauerngemeinschaft „Hamfelder Hof“ hat er über vier Jahre einen tiefgreifenden Change-Prozess gestaltet. Beim Hamfelder Hof steht das zukunftsfähige Beziehungsgeflecht zwischen Menschen, Tieren und der Natur im Mittelpunkt. Das gibt Menschen, Tieren und Böden Kraft. Ein Gespräch über liebende Kühe, helfende Regenwürmer und beschattete Beikräuter, über Naturschutzgesetze, eine eigene Bio-Meierei und den deutschen Bauernverband, über verschlemmte Böden, das Wunder des Kuhfladens und über Mut, Genügsamkeit und Glück.

09 – Solidarität - ist man zusammen weniger allein?

Dr. Andreas Busen, Soziologe, Uni Hamburg

„Mehr Solidarität wagen“ – im Fußball, in der Europäischen Union, der Wissenschaft, der Pflege, der Flüchtlingspolitik: Alle wollen und sollen solidarisch sein. Solidarität ist die Antwort auf wachsende Ungleichheit, zunehmende Erschöpfung und abnehmenden gesellschaftlichen Zusammenhalt, Solidarität war lange out und ist spätestens seit der Pandemie schwer in. Solidarität ist schnell bekundet, schwer gelebt und kaum zu fassen. Was genau ist Solidarität? Ist sie ein Begriff, eine Praxis oder beides? Ist Solidarität eine normative Vorstellung oder eine argumentative Struktur? Hilft Solidarität tatsächlich? Ist Solidarität die Grundlage unseres Zusammenlebens? Ist der Sozialstaat in Gesetze gegossene Solidarität? Verändert Solidarität unsere Demokratie zum Besseren? Ist Solidarität der Gegenbegriff zu Hyper-Individualismus, benennt sie Verbundenheit statt Vereinzelung? Auf all diese Fragen weiß der Hamburger Politikwissenschaftler Andreas Busen Antworten, denn er ist Solidaritätsexperte. Ein Gespräch über römisches Recht, Französische Revolution, Abo-Kisten, blau-gelb eingefärbte Profilbilder, Minderheiten und die Frage, was Solidarität dazu beitragen kann, unsere Demokratie weiter zu entwickeln.

08 – Achtsamkeit – Kapitalismus auf Crack oder Heilmittel gegen Stress?

Dr. Ursula Baatz, Religionswissenschaftlerin und Autorin

Kapitalismus auf Crack, neoliberale Disziplinierungstechnik, banale Form der Spiritualität – die „dunkle Seite“ des Achtsamkeitsbooms wird zunehmend kritisiert. Zu Recht, denn die Praxis der Achtsamkeit kategorisiert persönliche Probleme fast immer als psychologisch und wertet sie entsprechend als Pathologien. Die politischen oder sozioökonomischen Lebensbedingungen der Menschen ignoriert sie weitgehend. Liegt diese soziale Blindheit im Wesen der Achtsamkeit? Ja und Nein, sagt die Wiener Philosophin, Religionswissenschaftlerin sowie Zen- und Achtsamkeit-Lehrerin Dr. Ursula Baatz. Einerseits ist der Achtsamkeitsboom ein Ergebnis von Stress und Burn Out in den westlichen kapitalistischen Gesellschaften. Ermöglicht wurde dieser Boom durch eine Modernisierung des Buddhismus im 19. Jahrhundert. Andererseits ist die Praxis der Achtsamkeit tatsächlich eine Möglichkeit, die eigene Lebendigkeit in einer rationalisierten und ökonomisierten Gesellschaft wiederzufinden. Denn Achtsamkeit kann immer beides sein: Unterwerfung oder Widerstand, Egoismus oder Engagement, Kontrolle oder Lebendigkeit. Ein Gespräch über die vielen Facetten eines komplexen Zusammenhangs, über Maschinen und Rosinen, Industrialisierung und Kolonialisierung, Christentum und Zen-Buddhismus und die Möglichkeit einer ethischen Achtsamkeitspraxis.

07 – Vom Tun zum Lassen - absichtslose Achtsamkeit

Renate Kuschke, Qi Gong und Taijoquan Lehrerin

Tun oder Lassen, Geist oder Körper, Kultur oder Natur, Mann oder Frau, Täter oder Opfer - das abendländische Denken ist durchzogen von einer Logik des Binären. Diese strukturelle Entweder-Oder-Logik wurzelt in der grundlegenden Unterscheidung von Aktivität und Passivität. Dadurch entsteht eine Form der Weltbeziehung, die zwischen (aktivem) Subjekt und (passiver) Umwelt unterscheidet und die von den Subjekten fordert, im Modus der Aktivität ihre Umwelt zu instrumentalisieren. Der deutsche Soziologe Hartmut Rosa setzt diesem instrumentellen Selbst- und Weltverständnis Resonanz entgegen – seine Idee gelingender Weltbeziehung durch Einklang ist dabei nicht neu. Die 2500 Jahre alte Philosophie des Dao versteht alles Seiendes als untrennbar in einem ewigen Wandel miteinander verwoben. In diesem resonanten und dynamischen Selbst- und Weltverhältnis dienen die sogenannten „Dao-Künste“ wie Qi Gong, Taijiquan, Judo, Kalligraphie etc. dazu, durch dauernde Selbstkultivierung die eigene Wandlungsfähigkeit zu erhalten und zu verfeinern. Ein Gespräch über eine „Philosophie in Bewegung“, über die Untrennbarkeit von Tun und Lassen, Yin und Yang, Leib, Geist und Seele, die Verwobenheit allen Seins und über die transformative Kraft einer Achtsamkeit, die die richtige Antwort auf so ziemlich jede Frage sein könnte.

06 – Erschöpfung durch ungelöste Konflikte in Organisationen

Prof. Dr. Claus Nowak, Organisationsentwickler, Uni Hamburg

Ungelöste Konflikte in Organisationen sind teuer. Zum einen werden Aufgaben mangelhaft oder gar nicht erledigt. Zum anderen führt die durch Konflikte bedingte schwierige Situation zu Erschöpfung oder Krankheit bei Mitarbeitenden. Jährlich entstehen allein in Deutschland Kosten in Milliardenhöhe. Wird das Betriebsklima schlimm, führt das betriebliche Gesundheitsmanagement gerne die gesunde Pause ein und Coaches bieten Emotionsmanagement an. In den organisationalen „Konfliktlandschaften“ werden meistens nur die einzelnen Mitarbeitenden betrachtet und die Konflikte so individualisiert. Das aber verschlimmert die Situation nur, sagt Claus Nowak, Professor für Personal- und Organisationsentwicklung an der Uni Hamburg und Coach, Ausbilder und Autor zahlreicher Managementbücher. Konflikte müssen stattdessen systemisch betrachtet und strategisch gelöst werden. Dafür braucht es Reflexionsvermögen, Handwerk und auf allen Ebenen die Bereitschaft, Entscheidungen zu treffen. Ein Gespräch über abgehängte Jugendliche und selbst gemachten Fachkräftemangel, über Konfliktkategorien, organisationale Kommunikation, Führungshandeln, strukturelle Arbeitsbedingungen und darüber, warum Yoga allein nicht hilft.

05 – Die Erschöpfung der Frauen - Wider die weibliche Verfügbarkeit

Dr. Franziska Schutzbach, Genderforscherin, Speakerin, Autorin

Frauen haben heute angeblich so viel Möglichkeiten wie nie zuvor. Gleichzeitig sind sie so erschöpft wie nie zuvor. Woran liegt das? Die Baseler Geschlechterforscherin Dr. Franziska Schutzbach begründet die weibliche Erschöpfung damit, dass Frauen in unserem ökonomischen System doppelt liefern müssen. Einerseits wollen, sollen und müssen sie zunehmend erwerbstätig sein. Ökonomische Unabhängigkeit ist einerseits ein Akt der Emanzipation, andererseits oft auch bittere Nowendigkeit vor dem Hintergrund sinkender Löhne, prekarisierter Arbeitsverhältnise, hoher Inflation und steigender Mieten. Anders als die meisten Männer fahren Frauen dabei doppelte Schichten. Vor und nach der Arbeit haben sie nicht frei, sondern liefern Fürsorge in Form von Sorgearbeit. Diese Sorgearbeit wird dabei nicht als Arbeit verstanden, sondern als „privater Akt der Fürsorge jenseits des Marktes“. So bleibt die geleistete Sorgearbeit unsichtbar und wird wenig anerkannt - obwohl die Reproduktivität die Voraussetzung ist für jede Form der Produktivität. Ein Gespräch über ein strukturell frauenfeindiches System, das genau diejenigen Ressourcen heimlich ausbeutet, die kulturell und sozial Frauen zugeschrieben werden. Gegen diese strukturelle Ursache für die Erschöpfung der Frauen helfen ein paar Yogastunden oder etwas Achtsamkeitspraxis gar nichts. Stattdessen braucht es Utopien für eine andere Lebens- und Arbeitsweise.

04 – Arbeit, Burnout und der buddhistische Geist des Kapitalismus

Prof. Dr. Greta Wagner, Professorin für Soziologie mit dem Schwerpunkt Kultursoziologie, Uni Frankfurt

Erschöpfung war früher, Achtsamkeit ist heute. Die Soziologin Greta Wagner hat Management-Ratgeber wie „Buddha@work", "Karma-Coaching. Wege aus der Schicksalsfalle" oder „Wie Buddha die Work-Live-Balance erfand" untersucht. Ihre Frage: Welchen neuen Geist und welche neuen Praktiken bringt eine Kritik am Kapitalismus hervor, die ihren Ausgang in der Erschöpfung und dem Leiden an den entgrenzten und subjektivierten Arbeitsverhältnissen nimmt? Ihre Antwort: Den buddhistischen Geist. Dieser Geist will das unbegrenzte Potenzial des „Selbst" durch Achtsamkeitspraktiken verfügbar machen. Ein Gespräch über die Geschichte der Erschöpfungsdiagnosen, die Geister des Kapitalismus und die Emotionalisierung der Arbeit.

03 – Der selbst gemachte Buddha. Buddhismus, Kapitalismus und künstliche Intelligenz

Prof. Dr. Inken Prohl, Religionswissenschaftlerin, Uni Heidelberg

Buddha-Lampen, Buddha-Bowls, Buddha-Statuen, Buddha-Zitate, Buddha-T-Shirts  -  keine Frage, Buddha ist ein globaler Popstar. Dabei ist offensichtlich, dass Buddha und Konsum, Buddhismus und Kapitalismus sehr gut zusammengehen. Woran liegt das? Die Heidelberger Japanologin und Religionswissenschaftlerin Prof. Dr. Inken Prohl beschäftigt sich vielen Jahren mit der Transformation des Buddhismus in der Moderne. In den westlichen, sogenannten hochindustrialisierten Gesellschaften hat sich in den letzten 150 Jahren ein entmythologisierter Buddhismus herausgebildet, dessen Fokus auf Selbstoptimierung durch Achtsamkeit liegt. Optimiert wird dabei ausschließlich das eigene Selbst. Dass der historische Buddha Shakyamuni Frau und Sohn verlassen hat, um ganz alleine Erleuchtung außerhalb der Familie zu finden, macht ihn - so Inken Prohl - zu einem passgenauen Helden für die stark individualisierten Gesellschaften der Gegenwart. Diese Tendenz wird durch Künstliche Intelligenz, wie sie Meditations-Apps heute bereits verwenden, verstärkt. Ein Gespräch über japanische Klöster, Buddha-Statuen auf Mülltonnen, den Verlust kollektiver Bindungen durch die individualisierte Suche nach Erleuchtung und künstliche Intelligenz als religionsanaloge Formation.

02 - McMindfulness. How Mindfulness became the New Capitalist Spirituality

Ronald E. Purser, Professor für Management an der School of Business der San Francisco State University, Autor und Podcaster

Über 1000 zertifizierte Achtsamkeitstrainer*innen gibt es mittlerweile in Deutschland und Firmen wie SAP oder Bosch bieten Achtsamkeitskurse an. Für Ronald E. Purser, Managementprofessor an der San Fransisco State University und praktizierender Buddhist, ist das keine gute Entwicklung. Achtsamkeit, so schreibt er in seinem Buch "McMindfulness" sei zu einer banalen Form von Spiritualität im Kapitalismus geworden. Damit nicht genug: Die gegenwärtige Achtsamkeitspraxis verhindere sogar dringend notwendigen sozialen und politischen Wandel, indem sie soziale Strukturen ignoriert und behauptet, Stress entstünde - ganz unabhängig von gesellschaftlichen Bedingungen - ausschließlich im Kopf des Einzelnen. Achtsamkeit erzeuge so eine Art "soziale Amnesie", sagt Ronald Purser. Ein Gespräch in Englisch über Achtsamkeit bei Google, Amazon und Starbucks, Narzissmus, Einsamkeit, kulturelle Aneignung, Neoliberalismus, das "Regime of Mind" und die ganz großen Fragen: Sprache und Welt, Dualität und die Illusion von Raum und Zeit.

01 - Resilienz im Krisenkapitalismus

PD Dr. Stefanie Graefe, Soziologin

Resilienz - dieser Begriff ist seit den 2000er Jahren immer populärer geworden. Alles soll mittlerweile resilient werden: Menschen, hier vor allem deren Psychen, Gesellschaften, Gemeinschaften, aber auch Systeme wie bspw. das Gesundheits- oder Agrarsystem. Woher kommt diese Begeisterung für Resilienz als eine neue Leitnorm?  Die Jenaer Soziologin Stefanie Graefe hat den Begriff in mehreren Büchern genauer untersucht und kommt zu dem Schluss: Resilienz ist vor allem ein Krisenwerkzeug. Es geht darum, sich möglichst flexibel an eine als bedrohlich und krisenhaft erlebte Umgebung anzupassen. Damit das gelingt, muss man durch "Resilienzarbeit" seine Belastbarkeit trainieren. Es geht nicht mehr darum, die Ursachen dieser Krise zu benennen oder gar die Lebensumstände zu ändern. Ein Gespräch über Erschöpfung und ihre Ursachen, Resilienz als individuelle Lösungsstrategie strukturell bedingter Probleme und den Zustand unserer Demokratie.